Ein gemeinsames Statement von Antifabündnissen in Österreich

In letzter Zeit sahen sich antifaschistische Aktivist_innen und Organisationen in Österreich mit einer neuen Qualität an Repression konfrontiert. Immer mehr Antifaschist_innen werden aufgrund von politischen Beweggründen auf die eine oder andere Weise einer ganzen Latte an Repressalien ausgesetzt: angefangen bei Polizeigewalt, die Schwerverletzte zur Folge hatte, über Staatsanwälte, die sich offenbar auf einem Privatfeldzug befinden, und skandalösen Gerichtsurteilen bis hin zur breiten Anwendung von Kriminalisierungsparagraphen aus dem Strafgesetzbuch stehen wir vor einer langen Liste. Ein Rück- und Ausblick.

Kein Schal im Jänner

Bereits im Vorfeld der Proteste gegen den diesjährigen FPÖ-Akademikerball wurde vonseiten der Wiener Polizei fleißig an der Eskalationsschraube gedreht. Die Kundgebung des Bündnisses Jetzt Zeichen setzen!, die vergangenes Jahr am Heldenplatz stattfinden konnte, wurde 2014 untersagt. Mit dieser Handlung wurden Holocaustüberlebende des Platzes verwiesen, um Holocaustleugnern, die sich schließlich massig in deutschnationalen Burschenschaften tummeln, einen schönen Ballabend zu ermöglichen.

Parallel dazu wurde von der Polizei die Verordnung erlassen, dass sich um einen großen Zeitraum um die Demos herum, nämlich von Freitag, 24.1., 15:00 bis Samstag, 25.1., 03:00 in neun Bezirken keine Menschen an öffentlichen Orten aufhalten dürfen, die ihr Gesicht durch Kleidung oder andere Gegenstände verhüllen oder Gegenstände mit sich führen, „die ihrem Wesen nach dazu bestimmt sind, die Feststellung der Identität zu verhindern“. Diese absurde Verordnung hätte es tatsächlich erlaubt, dass Menschen, die um 16:00 auf der Mariahilferstraße spazieren gehen und sich dabei vor der Kälte mit einem Schal schützen oder auch nur einen in Tasche haben, bei Zuwiderhandlung mit einer Geldstrafe in der Höhe von 500 Euro oder mit bis zu zwei Wochen Freiheitsstrafe belangt werden können. Diese offensichtliche Einschüchterungstaktik ging jedoch nach hinten los und hunderte Antifaschist_innen beteiligten sich an der Aktion der Offensive gegen Rechts „Haube und Schal statt Deckel und Säbel“.
Als dann am 24. Jänner tausende Antifaschist_innen gegen den rechtsextremen Ball auf die Straße gingen, war das Vorgehen der Polizei vor Ort derart brutal, dass die OGR-Infozentrale immer mehr zum Lazarett wurde, die Wiener Berufsrettung die Straße sogar davor absperren musste und Katastrophenzüge zum Einsatz kamen. Der Wiener Polizeipräsident Pürstl hielt nach den Protesten an der Aufhebung von grundlegenden Rechten fest und erklärte, er werde sich die Daten Verletzter von der Wiener Rettung holen, um diese strafrechtlich zu verfolgen.

Und dennoch: Die Besucher_innenzahl ist in den letzten Jahren auf einen kümmerlichen braunen Haufen zusammengesunken, der einsam in den Säulen der Hofburg über die „linke Jagdgesellschaft“ halluziniert. Als Reaktion auf den Druck der Proteste auf der Straße beschloss der Wiener Gemeinderat eine Resolution gegen die Abhaltung des Balles in der Wiener Hofburg. Die Umbenennung des WKR-Balls in Akademikerball war ebenso eine Reaktion auf den zunehmenden Druck von antifaschistischer Seite. Anderorts gab es ebenfalls große Erfolge: In Innsbruck wurde der Dachverband Deutscher Burschenschafter nach harter Kritik aus der geplanten Messehalle rausgeworfen und in Linz konnte der Protest gegen den Burschenbundball 2014 mit mehr als 2.000 Teilnehmenden in Relation zu den Vorjahren verzehnfacht werden. Nachdem wenige Tage vor dem Geburtstag des faschistischen Diktators Adolf Hitler der Mahnstein gegen Faschismus und Krieg in der Braunauer Vorstadt geschändet wurde, folgten am 19. April beinahe 600 Menschen dem Demonstrationsaufruf des Bündnis „Braunau gegen Rechts“. Auf der Abschlusskundgebung gab die fast 90-jährige Auschwitz-Überlebende Esther Bejarano ein berührendes Konzert. Auch in Salzburg wurden lautstarke und breite Proteste gegen die feigen Schändungen unzähliger Stolpersteine und Denkmäler, den neonazistischen Schmierereien und Angriffen – beispielsweise auf die jüdische Synagoge – organisiert.

Schuldvermutung für Antifaschist_innen und gebrochener Landfrieden

Im Laufe des Jahres 2014 wurde eine Vielzahl an Prozessen gegen Antifaschist_innen eingeleitet. Kurz nach dem Akademikerball erhielt besonders ein Prozess, der sich im Laufe seiner Dauer immer mehr zur Farce entwickelte, öffentliche Aufmerksamkeit. Die Rede ist natürlich vom Prozess gegen den Jenaer Studenten Josef S. In der Tat stellte sich im Laufe des Verfahrens am Wiener Landesgericht für Strafsachen heraus, dass vonseiten der Staatsanwaltschaft in diesem Schauprozess keinerlei tatsächliche Beweise für Josefs Schuld vorgebracht werden konnten. Was nach unzähligen Einvernahmen blieb, war die Aussage eines Zivilpolizisten, der Josef schwer belastete. Egal war vor Gericht, dass sich dieser Beamte permanent in Widersprüche verstrickte und auch seine Aussage, dass er Josefs Stimme zu 100% wiedererkannt hatte, was jedoch durch ein Stimmgutachten widerlegt werden konnte, diente nicht seiner Entlastung. Die Tatsache, dass der Belastungszeuge selbst festgenommen wurde, wirft weitere Fragen auf und lässt nur zwei Möglichkeiten zu: entweder greift die Polizei willkürlich Personen aus Demonstrationen heraus oder er selbst war an diesem Abend als Provokateur unterwegs und hat Straftaten begangen.

Josef S. selbst, der nach einem halben Jahr U-Haft aus Mangel an Beweisen in erster Instanz schuldig gesprochen wurde, musste permanent seine Unschuld beweisen – von einer Schuldvermutung für Antifaschist_innen vor Gericht zu sprechen, scheint mittlerweile nicht mehr übertrieben zu sein. Obwohl es für die Beschuldigung des Landfriedensbruchs und der Rädelsführerschaft keine Beweise gab und es während des ganzen Prozesses immer wieder zu Widersprüchen in kam, kommt es augenscheinlich im „Zweifel” nicht zu Urteilen zugunsten von politischen Aktivisten.

Doch nicht nur Josef musste monatelang in U-Haft sitzen. Auch an Hüseyin sollte ein weiteres Exempel der Kriminalisierung des antifaschistischen Protests und des Demonstrationsrechts statuiert werden. Ein Exempel, das nicht „nur” darauf abhob in Hüseyin einen vermeintlichen „Rädelsführer“ dingfest zu machen und tausende DemonstrantInnen zu kriminalisieren. Sondern ein Exempel, das die Demonstrationen gegen den Burschenschafter-Ball am 24.1. und die Demonstration gegen die Identitären am 17.5. unter das Generalverdikt des Landfriedensbruchs subsumiert und damit offen das Demonstrationsrecht angreift.

Wir erinnern uns: als sich am 17.5. Antifaschist_innen in Wien den identitären Rassisten in den Weg stellen, kam es zu Dutzenden Festnahmen, regelrechten Jagden mithilfe von Hundestaffeln, eine Demonstrantin wurde von einem Polizisten der Knöchel doppelt gebrochen. Auch dass ein Transparent der Offensive gegen Rechts, welches zuletzt von Polizisten weggetragen wurden, kurze Zeit später beim Besäufnis der Identitären auftauchte, wirft gewisse Fragen auf.

In der Anklageschrift gegen Hüseyin heißt hingegen ganz generell: er habe „wissentlich an einer Zusammenrottung einer Menschenmenge (teilgenommen), die darauf abzielte, dass unter ihrem Einfluss, Körperverletzungen (§§ 83 bis 87) und schwere Sachbeschädigung (§ 126) begangen werden, und zwar 1. am 24.01.2014 als Teilnehmer an der Gegendemonstration gegen den Wiener Akademikerball”, sowie „2. am 17.05.2014 als Teilnehmer der Demonstration `Offensive gegen Rechts´”. „Zusammenrottung(en)”, wie die Staatsanwaltschaft suggeriert, „hunderter Demonstranten … um in dieser Zusammenrottung Auseinandersetzungen mit und Gewalttätigkeiten gegen Polizeibeamte zu suchen.” Für Staatsanwalt Hans-Peter Kronawetter grosso modo „Menschenmengen”, die geradezu „beseelt von den gleichen gesetzwidrigen Vorstellungen und Vorhaben” wären. So auch die unterstellte Intention Hüseyins. „Der Angeklagte … hatte … die Absicht sich diesen Demonstrationen anzuschließen. Von Anfang an hatte er auch die Absicht sich an der Zusammenrottungen hunderter Demonstranten anzuschließen mit dem Ziel in dieser Zusammenrottung Gewalttaten gegen einschreitende Polizeibeamte zu setzten.” Und: „Dafür war er mit Fahnenstangen aus Holz ausgerüstet.” (!)

Dieser grotesk gestrickten Anklageschrift und dem Versuch der Staatsanwaltschaft im Zuge des Prozesses dann kleinere Ausschreitungen einer Handvoll Personen in „Landfriedensbruch“, sowie Gestikulationen und das Rufen von Parolen in „Rädelsführerschaft“ umzudeuten, erteilte Richter Andreas Böhm mit seinem Freispruch vom Vorwurf des zweifachen Landfriedensbruchs eine klare Absage.

Weitgehend ausgeblendet in der medialen Berichterstattung blieb in diesem Fall der Umstand, dass Hüseyin wegen seines angeblichen Widerstands gegen die Staatsgewalt anlässlich seiner Verhaftung am 4. Juni für fast drei Monate bis zum letzten Prozesstag am 18.8. in U-Haft sitzen musste. Ein Vorwurf, von dem er gänzlich freigesprochen wurde – und dies nicht zuletzt auf Grundlage des WEGA-eigenen Videomaterials sowie der geradezu schreiend widersprüchlichen Aussagen der ihn beschuldigenden Beamten.

Zum wiederholten Male muss an der Stelle festgehalten werden: der Gummiparagraph des Landfriedensbruchs stellt nichts anderes als ein Mittel zur breiten Kriminalisierung von Protesten dar, der aber nicht nur gegen antifaschistische Demonstrant_innen angewandt wird, sondern auch gegen Fußballfans (Nähere Infos). Die himmelschreiende Absurdität des Landfriedensbruchs an einem konkreten Beispiel festgemacht: du kannst für eine Straftat, die fernab von dir und eben nicht von dir auf einer Versammlung von Menschen geschieht, mit bis zu zwei Jahren Gefängnis belangt werden. Hier muss also zur Verurteilung vor Gericht nicht mehr nachgewiesen werden, dass du gegen ein Gesetz verstoßen hast. Dieser Paragraph ist völlig zurecht lange Zeit in der juristischen Mottenkiste verstaubt. Er ist ein unmittelbarer Angriff auf das Demonstrationsrecht. Er muss weg.

Notwehr? Nicht für Antifaschist_innen! U-Haft? Nur für Antifaschist_innen!

Geradezu bizarr ist in diesem Zusammenhang das juristische Nachspiel des Angriffs von Neonazis auf eine Gewerkschaftversammlung im Oktober 2013 in Wien. Denn während die unbescholtenen Antifaschisten Josef sechs und Hüseyin zweieinhalb Monate in U-Haft zubringen mussten, wurden sämtliche „Unsterblich”-Neonazis, die unter anderem Vorstrafen wegen Körperverletzung und Wiederbetätigung haben, noch am Tag des Angriffs auf freien Fuß gesetzt.

Am 27. Oktober 2013 griffen 30, mitunter bewaffnete, „Unsterblich Wien”-Neonazis, eine Versammlung der Gewerkschaftsfraktion KOMintern an. Einer Person wurden dabei eine Schädelprellung, eine Rissquetschwunde und eine Gehirnerschütterung zugefügt. Die Angreifer konnten dabei jedoch zurückgedrängt und ein knappes Dutzend davon der Polizei übergeben werden. Das glasklare, politische Motiv rief anfangs das Wiener Landesamt für Verfassungsschutz auf den Plan, das auch erste Einvernahmen am 27. Oktober durchführte. Die Staatsanwaltschaft hingegen setzte bereits zu diesem Zeitpunkt alles daran, die neofaschistische Attacke als Wirthausschlägerei zu behandeln und verschob die Ermittlungen in Richtung Polizei. Gegen die festgenommenen Neonazis wurde keine U-Haft verhängt.

Zum Vergleich: der unbescholtene Hüseyin saß zweieinhalb Monate in U-Haft aufgrund des Vorwurfs des Widerstands gegen die Staatsgewalt bei seiner Festnahme am 4. Juni. Von diesem Anklagepunkt wurde er schließlich freigesprochen, die Aussage des ihn belastenden Polizisten erwies sich als schlichtweg falsch. Der ebenfalls unbescholtene Josef saß für sechs Monate in U-Haft. Während also unbescholtene Antifaschisten in U-Haft gehalten werden, gehen amtsbekannte Neonazis an dem Tag, an dem sie einen bewaffneten Angriff auf linke Strukturen gestartet haben, wieder frei. Im Gegensatz zu Josef und Hüseyin ging von ihnen laut Meinung der Staatsanwaltschaft wohl keine Gefahr aus.

Dieser Prozess stellt sich eine Reihe mit den Verfahren gegen Hüseyin und Josef: Der Wiener Staatsanwalt Hans-Peter Kronawetter, der Antifaschismus in Hüseyins Anklageschrift unter Generalverdacht stellt, linke Demos mithilfe des Landfriedensbruch-Paragraphen kriminalisieren will und Antifaschist_innen vor Gericht unter anderem als „Terroristen” bezeichnet, ist auch hier verantwortlich. Dabei geht es aber nie um einzelne Antifaschist_innen – gemeint sind wir immer alle. Heute mag die Repression „nur” bzw. vor allem gegen Antifaschist_innen zutage treten. Jedoch wird durch dieses Vorgehen von Polizei und Justiz jeglicher Protest – sei es sozialer, bildungspolitischer oder gewerkschaftlicher – unter Verdacht gestellt und eine weitreichende Kriminalisierung vorangetrieben. Betroffen sind einige – gemeint sind wir alle!

Trotzdem alledem: Solidarität wirkt!

Wir wissen, dass es nicht reicht, „nur” gegen Burschenschafter auf die Straße zu gehen. Ebenso gehen wir gegen die FPÖ auf die Straße. Burschenschafter sind der ideologische Kern der FPÖ, doch der blaue Wahlerfolg geht weit darüber hinaus. Während in Österreich und ganz Europa soziale Leistungen gekürzt werden, steigen die Lebenskosten der Menschen in allen Bereichen. Die Krise des Kapitalismus ist in aller Munde, rechte Parteien nutzen diese Stimmung und schüren Hass gegen Minderheiten oder Andersdenkende. Die rassistische Hetze der FPÖ bezeugt dies. Hier sind wir Antifaschist_innen gefordert: Wir müssen eine linke Antwort auf neoliberalen Gesellschaftsumbau und Krisen„lösung” geben, damit rechte Parteien wie die FPÖ nicht noch weiter erstarken.

Und auch wenn die Repression gegen Antifaschist_innen in Österreich immer mehr zunimmt, wird es keineswegs gelingen, unseren Protest einzudämmen oder uns einzuschüchtern. Im Gegenteil. Wir blicken auf Erfolge zurück und wir blicken zuversichtlich in die Zukunft. Denn zum Beispiel beteiligten sich nur fünf Tage nach den polizeilichen Festnahme- und Gewaltorgien im Zuge der Proteste gegen den identitären Aufmarsch in ganz Österreich weit über 1.000 Menschen an Kundgebungen unter der Losung „Unsere Solidarität gegen ihre Repression”. Kurz darauf gingen am 4. Juni gegen das sogenannte Fest der Freiheit von deutschnationalen Burschenschaften erneut tausende Antifaschist_innen auf die Straße Wiens und ließen das groß angekündigte Fest zu einer einzigen Peinlichkeit werden. Breite Solidarität wurde auch im Rahmen unserer Aktion „Antifaschismus ist kein Verbrechen” deutlich. Wir sehen auch die voranschreitende Vernetzung von antifaschistischen Bündnissen in Österreich als wichtigen Schritt in die richtige Richtung.

Wir wissen, dass vor uns noch ein weiter Weg liegt. Aber wir werden ihn gemeinsam beschreiten. Wir lassen uns nicht einschüchtern, kriminalisieren oder mundtot machen. Wir werden nicht müde gegen Rassismus, Rechtsextremismus, Antisemitismus, Sexismus, Homophobie und Männerbündelei auf die Straße zu gehen. Deshalb haben wir auch am 10.12., dem Tag der Menschenrechte, mit unterschiedlichen Aktionen in ganz Österreich auf unsere Anliegen aufmerksam gemacht.

Antifaschismus ist kein Verbrechen! Unsere Solidarität gegen ihre Repression!
…wir bleiben offensiv!

 

Ein gemeinsames Statement von Offensive gegen Rechts, Braunau gegen Rechts, Innsbruck gegen Faschismus, Linz gegen Rechts, Offensive gegen Rechts – Steiermark